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by [:noirscript]

Mäeutik (maieutikê, Hebammenkunst) nennt SOKRATES (der Sohn einer Hebamme) sein Verfahren, durch Fragen, durch »Prüfung« (exetasis) richtige Begriffe im Gespräche mit andern zu entwickeln, aus der bloßen Anlage zur Wirklichkeit zu erheben (vgl. PLATO, Theaet. 210 B).

HEBAMMENKUNST

SOKRATES : Von meiner Hebammenkunst gilt zunächst einmal das gleiche wie von der ihren. Sie unterscheidet sich aber dadurch, daß sie Männer entbindet und nicht Frauen und daß sie beim Gebären ihre Seelen überwacht und nicht ihre Leiber. Das größte an unserer Kunst ist aber, daß sie in jedem Fall zu prüfen vermag, ob es etwas Falsches und Unwahres ist, was das Denken des Jünglings hervorbringt, oder etwas Echtes und Wahres. Ja, auch darin geht es mir wie den Hebammen: ich selbst bin nicht imstande, eine Weisheit hervorzubringen, und das haben mir auch schon manche zum Vorwurf gemacht: daß ich wohl die anderen ausfrage, selbst aber über keinen Gegenstand eine eigene Meinung vorbringe, weil ich nämlich nichts Gescheites zu sagen weiß, und diesen Vorwurf machen sie mir zu Recht. Der Grund davon aber ist der: zu entbinden nötigt mich der Gott, zu gebären aber hat er mir versagt.

So bin ich denn also selbst durchaus nicht weise, und es gibt auch keinen weisen Fund, der als Frucht meiner Seele ans Licht gekommen wäre. Von denen aber, die mit mir verkehren, erscheinen einige am Anfang völlig unbelehrt; je länger sie aber mit mir zusammen sind, machen alle, denen es der Gott vergönnt, erstaunliche Fortschritte - so kommt es ihnen selbst und auch den anderen vor; dabei ist es offensichtlich, daß sie nie etwas von mir gelernt haben, sondern daß sie selbst und aus sich selbst viel Schönes gefunden und hervorgebracht haben. Ihre Entbindung freilich verdanken sie dem Gott und mir. Und das geht aus folgendem hervor: Schon viele haben das nicht eingesehen und haben es sich selbst zugeschrieben und mich gering geschätzt; sie trennten sich von mir, von sich aus oder von anderen überredet, und zwar früher, als das hätte sein sollen. Nachdem sie mich aber verlassen hatten, brachten sie infolge der schlechten Gesellschaft im weiteren nur noch Fehlgeburten hervor und verdarben durch mangelhafte Pflege auch das, wovon ich sie entbunden hatte, indem sie falsche Trugbilder höher achteten als die Wahrheit. Schließlich kamen sie sich selbst und auch den anderen als unwissend vor. Einer von diesen war Aristeides, der Sohn des Lysimachos, und es gibt noch viele andere mehr. Wenn sie dann zurückkommen und meinen Verkehr wieder wünschen und dafür weiß was alles unternehmen, so verbietet mir bei einigen das Daimonion in mir den Umgang mit ihnen; bei anderen läßt es ihn zu, und diese machen dann auch gleich wieder Fortschritte. Denen, die mit mir verkehren, geht es aber gerade wie mit den Gebärenden: sie haben Wehen und wissen sich Tag und Nacht nicht zu helfen, noch viel schlimmer als jene; diese Wehen aber zu erregen und zu stillen, das vermag meine Kunst. So steht es also mit diesen. Bei einigen dagegen, lieber Theaitetos, die mir nicht den Eindruck machen, daß sie schwanger seien, da sehe ich ein, daß sie meiner nicht bedürfen; für sie bin ich ein bereitwilliger Ehestifter und finde mit Gottes Hilfe recht gut heraus, mit wem sie verkehren sollten, um gefördert zu werden. Schon manche von ihnen habe ich dem Prodikos zugehalten, manche auch anderen weisen und gottbegnadeten Männern.

Dies habe ich dir, mein Bester, deshalb so ausführlich vorgetragen, weil ich vermute, daß du, wie du auch selber merkst, mit etwas in dir schwanger gehst und Geburtswehen hast. Wende dich also an mich, der ich der Sohn einer Hebamme und selbst in der Geburtshilfe kundig bin, und was immer ich dich frage, das beantworte bereitwillig und so gut du kannst. Und wenn ich das dann prüfe, was du sagst, und mir irgend etwas als ein Trugbild und eine Unwahrheit vorkommt und ich es dann heimlich aus dem Wege schaffe und wegwerfe, so sei mir nicht böse wie die Kindbetterinnen bei ihrer ersten Geburt. Denn viele schon, du Erstaunlicher, waren so aufgebracht über mich, daß sie mich geradezu hätten beißen mögen, wenn ich ihnen irgendeinen Unsinn weggeschafft habe, und sie glauben nicht, daß ich das nur aus Wohlwollen mache - so weit sind sie von der Einsicht entfernt, daß kein Gott den Menschen je schlecht gesinnt ist und daß auch ich dergleichen nicht aus schlechtem Willen tue, sondern daß ich einfach kein Recht habe, der Lüge Raum zu geben und die Wahrheit zu verdunkeln.

So fang also noch einmal von vorne an, lieber Theaitetos, und versuche zu sagen, was eigentlich Wissen ist; daß du aber nicht dazu imstande seist, darfst du nie und nimmer behaupten. Denn wenn Gott es will und dir die Kraft gibt, so wirst du es können.

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